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10 Sekunden

Originaltitel

10 Sekunden

Kinostart

Deutschland: 02.10.2008

Produktion

Deutschland 2007

89 Minuten
1:1,85 | Farbe
FSK 12

Bild- und Textmaterial finden Sie auf unserem Presseserver

Ein Augenblick kann alles verändern…

10 Sekunden  -  ein kurzer Augenblick  reicht aus, um das Leben einer Reihe von Menschen aus der Bahn zu werfen. Nach einer Flugzeugkatastrophe quälen den Fluglotsen Schuldgefühle: er macht sich für den Tod von 83 Menschen verantwortlich. Seine Frau Franziska (Marie Bäumer) sucht Zuflucht aus dieser Enge in einer Affäre. Polizist Harald (Sebastian Blomberg), der am Unglücksort im Einsatz war, wird immer wieder von seinen Erinnerungen heimgesucht. Erik (Filip Peeters) hat Frau und Kind bei dem Absturz verloren - er kann seinen Schmerz auch dann nicht überwinden, als er der jungen und lebenslustigen Daniela (Hannah Herzsprung) begegnet. Während alle versuchen, ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen, bemerken sie nicht, dass sie bereits auf die nächste Katastrophe zusteuern.
Inspiriert von wahren Begebenheiten, als 2002 über dem Bodensee zwei Flugzeuge kollidierten, erzählt „10 Sekunden“ losgelöst von den tatsächlichen Ereignissen von den Konsequenzen einer derartigen Tragödie. Aus verschiedenen Perspektiven und auf verschiedenen Zeitebenen versucht das einfühlsame Drama nachzuvollziehen, wie und ob ein Leben danach möglich ist.

CAST & CREW

BESETZUNG

Franziska Hofer MARIE BÄUMER
Harald Kirchschläger SEBASTIAN BLOMBERG
Erik Loth FILIP PEETERS
Daniela HANNAH HERZSPRUNG
Markus Hofer WOLFRAM KOCH
Clemens HARALD SCHROTT
Svenja Kirchschläger ANNA LOOS

STAB

Regie NICOLAI ROHDE
Produktion MONEYPENNY FILMPRODUKTION

BACKGROUND

10 SEKUNDEN – Interview mit dem Regisseur Nicolai Rohde

1. Wie kam es bei Ihrem Film 10 SEKUNDEN zur Wahl der eher elliptischen und nicht chronologisch-linearen Erzählweise? Und wieso haben Sie sich für drei Zeitebenen entschieden?

Wir wollten von vornherein drei Hauptfiguren erzählen, die emotional aufeinander aufbauen und durch deren Verflechtung ein nuanciertes, emotionales Bild dreier Menschen entsteht, deren Schicksale durch ein Unglück miteinander verwoben sind. Und die sich ein Jahr später, am Jahrestag dieses Unglücks, wieder begegnen um
nach einem kathartischen Moment etwas Neues zu beginnen. Wichtig war uns dabei vor allem, nicht die einzelnen Entwicklungen komplett auszuerzählen, sondern alle Figuren an einem Endpunkt zu zeigen. Die Kämpfe haben bereits stattgefunden, alle Figuren müssen sich für etwas entscheiden, um weiterleben zu können.
Zentrale Figur ist dabei Franziska, die durch die tragischen Verwicklungen ihres Mannes mit dem Unglück emotional sehr stark involviert ist. Ihre Episode ist zeitlich am längsten. Durch sie erfahren wir etwas über das Trauma eines Opfers des Unglücks und erleben zugleich den Verlust eines Menschen, erleben die Begegnung
mit dem Tod – und somit den Kern des Traumas all unserer Protagonisten. Mit diesem Wissen werden die anderen Figuren immer wieder angereichert. Durch Markus erfahren wir etwas darüber, welche Kämpfe Harald möglicherweise vor Einsetzen der Verdrängung geführt hat. Wir erleben Erik und können uns vorstellen, wo Haralds Weg endet, wenn er keinen Ausweg findet. Und Franziskas selbstzerstörerischer Weg nach dem Tod des Mannes kann in Resignation, Hass oder Verdrängung enden. Nur durch diese zeitlich unterschiedlich gewichteten und ineinander verschachtelten Episoden, die sich gegenseitig bereichern, entsteht eine emotionale und vor allem schicksalhafte Verbindung der Figuren, die sie fast zwangsläufig aufeinander zusteuern lässt.

2. Was hat Sie an dem Thema der Trauer besonders fasziniert?

Nach großen Katastrophen ist immer wieder von den Helfern vor Ort die Rede, die die Bilder des Unglücks nicht mehr aus dem Kopf kriegen. Man hört von Selbsthilfegruppen für Angehörige und Beteiligte, welche helfen sollen, die traumatischen Erlebnisse zu
verarbeiten. Von Personen, die von dem Unglück so mitgenommen werden, dass sie ihrer Arbeit nicht mehr nachgehen können, weil sie bei dem geringsten Stress völlig überfordert sind. Es sind diese Einzelschicksale, die einer Katastrophe ein Gesicht geben. Menschen die von ihrem ganz persönlichen Umgang mit der Katastrophe berichten. Durch solche Berichte betroffener Personen wurde mir klar, so schrecklich eine Katastrophe auch ist, sie stellt lediglich die Spitze des Eisberges dar. Der wahre Schrecken liegt viel tiefer – im Alltäglichen, im Versuch der Beteiligten, ihr erschüttertes Leben wieder in den Griff zu bekommen. Im Versuch, dieser Mischung aus Gleichgültigkeit, Trauer, Schmerz und Wut etwas entgegen zu setzen. Im Versuch, das Erlebte aufzuarbeiten, um es als Vergangenheit, als etwas Abgeschlossenes neu bewerten zu können, damit es seinen Schrecken verliert. Diese Auseinandersetzung betroffener Personen mit ihrem brutalen Schicksal hat mich immer am meisten interessiert. Ich hatte das Gefühl, wenn ich mich solchen Schicksalen annähere, gibt es eine Chance, etwas von dem zu verstehen, was diese Menschen durchmachen.

3. Ist 10 SEKUNDEN vor allem auch ein Film über Schicksalhaftigkeit? Oder eher über die Schuldhaftigkeit des Menschen?

Eindeutig ein Film über die Schicksalhaftigkeit. Die Frage der Schuldhaftigkeit der Protagonisten im Film hätte meines Erachtens nach nicht weit genug gegriffen, um die Dimensionen dieser Tragödie zu erfassen. Wenn, dann steckt vielmehr folgende Frage in dem Film: Ist es Schicksal oder der eigene freie Wille, der einen Menschen zum Opfer bzw. Täter macht?

4. Wie muss man sich die konkrete Arbeit mit den Schauspielern vorstellen, als es um die jeweiligen Traumata ging? War dies im Einzelfall sehr unterschiedlich?

Es gab beim Hauptcast sehr intensive Vorgespräche. Da wir in allen Episoden sehr spät einsteigen, habe ich allen Schauspielern ihre Vorgeschichte und ein psychologisches Profil vorgegeben. Anhand dieses Profils suchten wir den Einstieg, sprich die Haltung, mit der sie in den Film gehen konnten. Die Schwierigkeit für mich bestand darin heraus zu finden, wie viel Spielraum ich den einzelnen Schauspielern in ihren Figuren zugestehen durfte. Das war die komplexeste Herausforderung bei diesem Film, denn alle Figuren umkreisten dasselbe Thema, nur dass sie in verschiedenen Phasen agierten. Erik, der Mörder, war in seiner Zuspitzung am radikalsten. Er hat mit allem abgeschlossen, für ihn ist klar, dass jemand für
seinen erlittenen Verlust sterben muss. Doch wie weit konnte ich ihn in dieser Nacht vor dem Mord an das Leben in Form von Daniela heranführen, ohne ihn am Ende zu verlieren? Wie weit durfte er sich öffnen? Wo war der Punkt, an dem er die Tür noch zuschlagen konnte, die Daniela ihm geöffnet hatte? Franziska war die komplexeste Figur, da sie zunächst das Trauma ihres Mannes
spiegelt, quasi selbst Opfer eines Traumas ist, ohne traumatisiert zu sein. Erst durch den Mord an ihrem Mann muss sie erfahren, wie weit sie sich bereits in seinem Trauma eingerichtet hatte und sich doch von ihm entfernt hat. Auch dies ist ein Balanceakt, da sie nach dem Tod ihres Mannes alles um sich herum zerstört, alle
Bindungen kappt. Wie weit hatte sie sich also von ihrem Mann bereits entfernt, wie stark durfte die Liebe zwischen den beiden noch spürbar sein. Harald wiederum ahnt nichts von seinem Trauma. Und auf einen Schlag setzt es ein. Hier war die Frage, wie weit das Trauma ihn beherrscht, oder ob er es beherrschen kann und zu einer möglichen Lösung kommt. Aus diesem Kampf bezieht die Figur
Harald seine Kraft. Diesen Kampf am Leben zu erhalten, ihm immer wieder in Bewegung zu setzen und gleichzeitig seine zunehmende Panik zu zeigen, war die Herausforderung. Bei allen diesen Facetten war doch die Arbeitsweise immer die gleiche. Das Trauma,
die Vorgeschichte, spielte keine Rolle mehr. Sie war der Humus, auf dem wir die Figuren ansiedelten. Und wir tasteten uns in jeder Szene an die Grenzen der Figuren ran. Es war ein sich ständiges gegenseitiges Überprüfen und ein sehr intuitiver Vorgang. Das war die einzige Möglichkeit, sich den Figuren zu nähern, denn letztlich
wusste jeder einzelne intuitiv mehr über menschliche Grenzsituationen, als eine rein intellektuelle Betrachtungsweise jemals hätte leisten können.

5. Inwieweit wurde bei der Arbeit am Drehbuch bzw. bei der Vorbereitung mit den Schauspielern für diese schwere Thematik eine Fachberatung von professioneller psychologischer Seite hinzugezogen?

Wir hatten keinerlei psychologische Fachberatung in Anspruch genommen. In meinem ersten Film ZWISCHEN NACHT UND TAG hatte ich mich bereits mit der Traumatheorie beschäftigt und festgestellt, dass traumatische Erlebnisse sehr individuell sind. Jeder reagiert anders, je nach Charakter und familiärer Bindung.
Ich glaube, das Wissen um Extremsituationen wie Angst, Kontrollverlust, Panik, Wut, Trauer, Hilflosigkeit, Fluchtinstinkte oder die Fähigkeit, Dinge zu verdrängen, sind in jedem Menschen fest verankert. An diesen ganz persönlichen Erfahrungsschatz der
Schauspieler zu appellieren, fand ich wichtiger, als ihnen psychologisch fundiertes Wissen an die Hand zu geben und ihnen somit möglicherweise den Blick auf die eigenen Instinkte zu verstellen.

6. Die Wahl des Drehortes fiel auf Leipzig.

Leipzig bot sich an, da sich diese Stadt gerade in einem interessanten Umbruch befindet. Die Restaurierung der Stadt dehnt sich immer mehr in die Außenbezirke aus. Und es kommt zu interessanten Schnittpunkten zwischen unsaniertem Altbau und
moderner Architektur. Immer wieder durchbrochen von Baulücken oder innerstädtischer Ödnis. Dieses Spannungsverhältnis schien uns perfekt für unseren Film, in dem wir es ja mit sehr brüchigen Figuren zu tun haben, die selten bei sich sind. Das korrespondierte sehr gut mit dieser Stadt im Umbruch.

7. Wie gestaltete sich die Kameraarbeit mit Hannes Hubach, mit dem Sie zuvor schon bei ZWISCHEN NACHT UND TAG zusammengearbeitet haben? Die Bilder in 10 SEKUNDEN sind von einem ganz eigenen Stil, von einer ganz eigenen visuellen Sprache.

In der Vorbereitung mit Hannes gab es zwei ganz entscheidende Eckpfeiler für das visuelle Konzept. Zum einen wollten wir den Hauptfiguren ganz nahe sein, jeder Geste nachspüren und gleichzeitig die Protagonisten isolieren, um zu zeigen, wie groß ihre Einsamkeit im Kampf mit sich und ihrem Schicksal ist. Dazu wählten wir eine Mischung aus Handkamera und festen, distanzierten Fahrten. Kombiniert mit häufigen Perspektivwechseln und einem Umfeld, das ständig in Bewegung ist, erzeugten wir eine zusätzliche Unruhe, die sich auf den Zuschauer überträgt. Durch diese Mischung fühlt man sich den Protagonisten seltsam nahe und gleichzeitig hat man das Gefühl, dass da noch etwas anderes ist, das sich nicht berechnen lässt. Zum anderen war es das farbliche Konzept, das wir eng mit der Szenografin Yesim Zolan abgesprochen hatten. Um die Episoden voneinander abzuheben, benutzten wir leicht veränderte Farbtemperaturen und arbeiteten auch im Szenenbild mit entsprechenden Farben. So konnten wir jeder Figur eine eigene Stimmung zuordnen. Erik ist in eher warme Farben getaucht. Franziska ist eher kühl gehalten und Harald
relativ neutral. Zu diesem Konzept kommt noch das Einfühlungsvermögen von Hannes Hubach am Set. Er hat ein untrügliches Gespür für den jeweiligen Moment und schafft es immer wieder, dem bereits Besprochenen noch etwas Neues hinzu zu
fügen. Etwas, was die Szene erst komplett macht. Was immer das ist, es gibt mir dieses Mehr an Stimmung, was ich nicht benennen könnte.

8. Das Drehbuch haben Sie zu dritt verfasst, zusammen mit Sönke Lars Neuwöhner und Sven S. Poser. Wie muss man sich diese Zusammenarbeit konkret vorstellen?

Am Anfang bin ich an beide mit der Idee herangetreten. Es gab über einen längeren Zeitraum viele Gespräche darüber, wie wir diese Geschichte angehen wollen. Was interessiert jeden einzelnen von uns, wo sind Gemeinsamkeiten, wo sind wir ganz unterschiedlicher Meinung? Im weiteren Verlauf brachte jeder von uns Ideen zu Papier, die wir dann gemeinsam auswerteten. Als es dann ans Treatment und später ans Drehbuch ging, haben Sönke und Sven fast ausschließlich geschrieben. Ich war Ideengeber und Kritiker von Außen.

Eine Rolle, in der ich mich sehr wohl fühlte, da ich nicht so tief in der Dramaturgie steckte und mir einen etwas neutraleren Blick bewahren konnte. Einen Großteil der Arbeit nahmen jedoch die Gespräche ein. Da diskutierten wir immer wieder über die Grundthemen der Geschichte, legten neue Richtungen fest, gestanden uns Irrwege
ein, setzten neu an, entdeckten plötzlich völlig neue Facetten in den Figuren – eine tolle Arbeit, die mir letztlich beim Drehen sehr geholfen hat, da ich durch die Gespräche mit Sönke und Sven mit den Figuren stetig mitgewachsen bin.